Kannst Du gut Grenzen setzen? Nein sagen, wenn Du Nein meinst? Und auch dabei bleiben, wenn Dein Gegenüber versucht, Dir ein schlechtes Gewissen zu machen?
Kannst Du für Dein Recht einstehen, wenn jemand Deinen Raum verletzt und auch weiter voran gehen, sobald Dir Gegenwind entgegen schlägt?
Kannst Du Deine Werte wahren und Zeichen setzen, auch, wenn um Dich herum alles spottet oder man Dich verlacht?
Und bist Du in der Lage, Grenzen anderer zu akzeptieren, zu respektieren und zu achten, auch wenn Du Dir etwas anderes wünscht? Auch wenn vielleicht Dein Bedürfnis nach Anerkennung und Gesehenwerden ganz laut in Dir schreit oder Du Dein „Gesicht“ nicht verlieren willst?
Kannst Du ein Nein eines Anderen anerkennen, auch wenn Deine Bedürftigkeit und Deine inneren Wunden um alles in der Welt ein Ja erhofft haben?
Die Fähigkeit, Grenzen zu setzen, zu wahren und zu akzeptieren ist eine Eigenschaft, die wir von unserem Vater lernen. Als Kind ist er für uns das Symbol für die Welt außerhalb der Symbiose mit unserer Mutter. Raum, der uns ängstigt und gleichzeitig fasziniert. Wir lernen von unserem Vater, nach unseren Möglichkeiten, begrenzte Teile dieser Welt zu entdecken und zu erfahren. Er schützt uns, wenn wir über diese Grenzen hinweg wollen- etwas erleben, bekommen möchten, was mit unseren Möglichkeiten (noch) nicht vereinbar ist. Und er erlaubt uns, selber Nein zu sagen, wenn wir für etwas nicht bereit sind oder uns selber schützen wollen.
Fehlt diese Erfahrung, dieses so wichtige Vorbild, so wird es uns auch als erwachsener Mensch schwer fallen, Räume richtig einzuschätzen. Wir merken oft zu spät, dass jemand den unseren verletzt hat oder trauen uns nicht, unseren Raum für uns zu beanspruchen und zu verteidigen. Oder wir erkennen nicht, wann der Raum eines anderen beginnt und lassen uns ausschließlich durch unsere Bedürftigkeit und unser Ego leiten. Dabei übertreten wir Grenzen, verletzten Integritäten und sind dann erstaunt, empört oder überrascht, wenn wir zurückgewiesen werden.
Die Aufgabe, die Qualität des Vaters ist nicht nur für den und die Einzelne_n entscheidend für den eigenen, persönlichen Werdegang, sie ist zudem die Basis für ein respektvolles und friedliches Miteinander aller Menschen einer Gruppe, einer Gesellschaft.
Fehlt uns diese Qualität, diese Prägung in unserem Leben, hinterlässt sie in unserer Seele eine Wunde. Und somit lassen wir uns von unseren Wunden, unseren Bedürftigkeiten leiten.
Wir merken dann nicht oder nur kaum, dass wir vorrangig in der „Nehmerposition“ anderen gegenüber sind und gleichzeitig die „Gebertür“ für jeden offen steht, der es versteht, uns an diesen Wunden zu berühren, mit ihnen zu „spielen“ oder sie für sich zu nutzen.
Wir haben nicht gelernt, nein zu sagen, um uns zu schützen; wenn wir nicht bereit sind zu geben. Also lassen wir uns innerlich leerräumen und spüren dann umso mehr die Bedürftigkeit nach Genährt- und Anerkanntsein, zwei der Grundbedürfnisse eines jeden Kindes.
Dieses Gefühl ist unser Antrieb, unsere Feder, die uns voran schiebt, zur nächstmöglichen „Quelle“. In uns brennt ein seelischer Hunger, der uns zumeist gar nicht erlaubt, darüber nachzudenken, ob wir mit unserem Verhalten die Grenzen eines anderen verletzten. Und wir nehmen, wir wollen uns wieder gefüllt, erfüllt fühlen.
Wehrt sich unsere „Quelle“ aber, weist uns jemand ab, lässt uns mit unserem Hunger alleine, dann sieht sich unsere kindliche Wunde, unser inneres Kind in einer real empfundenen Existenzangst. Das ist auch der Grund, warum viele zurückgewiesene, hungrige innere Kinder dann eskalieren. Der Mensch, der diesen Hunger in sich spürt und nun abgewiesen wurde, zeigt Ausprägungen von Trotz, Opferverhalten, Bockigkeit, bis hin zu Aggression.
Es kämpft dort keine erwachsene, gereifte Person mehr, sondern ein kleines Kind, dessen Grundbedürfnisse nach Versorgtwerden und Anerkennung massiv verletzt wurden. Und zwar zum wiederholten Male. Denn die Urwunde bei diesem Menschen, liegt in der eigenen Kindheit verborgen. Bei einem vielleicht abwesenden oder abweisenden Vater und/oder einer überforderten, desinteressierten oder ebenfalls bedürftigen Mutter.
Dieser Hunger wird uns wieder und wieder einholen, solange wir nicht lernen, selber Grenzen zu spüren und zu setzen und gleichzeitig die Grenzen anderer zu respektieren. Die Urwunde, die wir erlitten haben, stammt nicht aus uns oder unserer Verschuldung. Die Aufgabe, einem Kind das Gefühl von Versorgt- und Gesehenwerden zu schenken, liegt bei den Eltern. Genauso, wie es an unseren Vätern liegt, uns gesunde Grenzen beizubringen.
Fehlen uns diese Erfahrungen, tragen wir diese Urwunde in uns, so ist es nicht unsere Schuld- es ist aber unsere Verantwortung, die Welt nicht dafür büßen zu lassen. Denn diese Welt schuldet uns nichts! Andere Menschen sind nicht dazu da, unsere Wunde zu verdecken, zu versorgen oder möglichst wenig Anstoß an ihr zu nehmen. Und das gilt auch für unsere Kinder! Denn viele Eltern, die ihren Kindern diese Urwunden hinterlassen, tragen die gleiche in sich. Und oftmals geht dieser Kreislauf seit Generationen- und niemand hat zwischendurch die Verantwortung übernommen, diese Wunde heilen zu lassen, um sie nicht durch die nächste Generation zu kompensieren, bzw. es zumindest zu versuchen.
Deswegen ist es nun endliche Zeit! Die Verantwortung liegt bei uns selbst, diese Wunde heilen zu lassen und zu lernen, Grenzen zu setzen, um unseren innersten Raum zu schützen und zu bewahren. Dass er sich füllen kann, damit wir nie wieder diesen existenziellen inneren Hunger spüren müssen. Damit wir genährt sind, um nicht mehr bei anderen zu „klauen“, um nicht zu „verhungern“. Damit wir verstehen und respektieren, dass andere nur das mit uns teilen wollen, was sie überhaben. Dass sie mit uns nicht teilen müssen, sondern uns dafür freiwillig wählen dürfen und nicht, weil sie bedrängt oder emotional erpresst werden.
Wenn ich meinen eigenen Raum hüte, nähre und schätze, ihn vor Übergriffen bewahre und mich erfüllt fühle, dann kann ich aus dem Vollen teilen. Ich habe dann genug Funken in mir, andere zu inspirieren und ich kann sie unterstützen, wenn sie gerade eine schwierige Phase haben. Ich kann Teil einer Gemeinschaft sein, die sich gegenseitig nährt, die sich nicht untereinander das Brot vom Teller stielt, weil man so ausgehungert ist.
Seine Vaterwunde zu heilen und zu lernen, wie das mit dem Grenzensetzen und -wahren funktioniert, ist nicht nur für einen persönlich heilsam. Es gibt uns überhaupt erst die Möglichkeit, Beziehungen zu führen, die nicht auf Mangel oder Bedürftigkeit basieren, sondern auf Respekt, Austausch und Fülle.
Und damit erschaffen wir immer größere Kreise von Co-Kreation und Miteinander. Sich gegenseitig nähren, anstatt sich zu benutzen. Sich gut zu tun und sich zu respektieren, statt sich zu unterdrücken und auszulaugen.
Es könnte so einfach sein- bist Du mit dabei?